Doderer, Heimito von Die Dämonen (3423104767)
Die Grundkonstellation, auch der mit >>G-ff<< abgekürzte Chronist, ist
aus dem gleichnamigen Roman (1871/72) von Fjodor R Dostojewski übernommen.
Eine Gruppe von - individuellen und heterogenen - Wienern und Zugereisten
gibt sich unter der Bezeichnung >>Die Unsrigen>> geselligen Vergnügen hin,
einige von ihnen mit faschistischen und antisemitischen Tendenzen. Über
30 Kern- und Randfiguren aus dem Roman Die Strudlhofstiege (1951) begegnen
hier wieder (Hauptfiguren R S. 290), doch sind Die Dämonen keine inhaltliche
Fortsetzung. Auch in diesem Roman ist die eigentliche Intrige ohne Belang:
Der Kammerrat Levielle versucht vergeblich das Erbe Charlotte von Schlaggenbergs
zu unterschlagen, deren Herkunft und Zukunft sich nebenher klären. Etwa
50 Romanfiguren repräsentieren in differenzierter Darstellung die Erfahrungswelt
des Autors vom kultivierten Groß- bis zum Kleinbürgertum der Hausmeister,
aber auch die unheimliche Unterwelt der Kaschemmen bis zum brutalen Mörder
Meisgeier sowie das Milieu der Proletarier. Allmählich schält sich der
Entwicklungsroman Leonhard Kakabsas heraus, eines idealisierten, zu Höherem
berufenen Arbeiters, der programmatisch den Traktat Über die Würde des
Menschen (1496) von Pico della Mirandola (1463-94) liest. Doderer weist
die Psychoanalyse von Sigmund Freud (1856-1939) zurück, spürt aber seinerseits
dem - oft mit Raummetaphern erfassten - Innenleben seiner Figuren nach,
die häufig - weil sie sich der Wahrnehmung des Eigentlichen verweigern
- befangen sind in einer >>zweiten Wirklichkeit<<. Darunter versteht er
eine Ideologie wie den Faschismus, blinde Wut, Extremismus, Gewalt, auch
eine erotische Obsession wie Schlaggenbergs komische, systematische Jagd
nach >>dicken Damen<< oder den Sadismus, den er an Jan Herzka sowie an
einem fingierten frühneuhochdeutschen Manuskript, dem Protokoll eines Hexenprozesses,
veranschaulicht.