Feist, Sabine Die Byzantinische Sakralarchitektur Der Dunklen Jahrhunderte (3954904209)
Dunkle Jahrhunderte tragen ihren Namen in kaum einer Epoche grundlos. Meist werden mit diesen wenig schmeichelhaften Worten langjahrige Phasen bezeichnet, die in der Forschung gemeinhin als Niedergang einer bis dato bluhenden Kunst- und Kulturlandschaft gelten. In der byzantinischen Archaologie wird solch ein Verfall mit der Ubergangszeit zwischen Spatantike und Mittelalter assoziiert, einer Zeit, aus der nur verhaltnismassig wenige Beispiele christlicher Sakralarchitektur auf uns gekommen sind. Bei ebenjenen Beispielen handelt es sich zudem oftmals lediglich um Um- oder Neubauten alterer Kirchen. Dennoch kann die Bedeutung der in dieser Zeit entstandenen Sakralarchitektur kaum uberschatzt werden, geriet die den Kirchenbau bis dato bestimmende Basilikaarchitektur damals doch schlagartig ins Hintertreffen. Die baulichen Veranderungen alterer Kirchen waren zu dieser Zeit namlich keineswegs gleichbedeutend mit einer schlichten Instandsetzung der alteren Vorganger. Man entschied sich vielmehr gegen die altbewahrte Longitudinalarchitektur und uberwolbte die einstigen basilikalen Bauten stattdessen mit Kuppeln. In diesem Buch wird die Baugeschichte ebensolcher Kirchen analysiert, die wahrend der Dunklen Jahrhunderte verandert wurden. Dabei werden die Sakralbauten dieser Epoche erstmals nicht von vornherein als eine architektonisch kaum anspruchsvolle Vorstufe nachfolgender mittel- und spatbyzantinischer Entwicklungen, sondern aus der Perspektive der (spat)antiken Vorganger betrachtet. Die Analyse einzelner Schlusselmonumente lasst dabei stets wiederkehrende Charakteristika erkennen. Zu diesen gehort etwa das Festhalten an Alterem, sowohl in Form von Atria und Narthices als auch in Form der bauplastischen und liturgischen Ausstattung. Aber auch die in der Spatantike fur das christliche Gotteshaus entwickelten Raumkonzepte wurden wahrend der Dunklen Jahrhunderte weitergefuhrt und intensiviert. So wurde der bereits von fruhen Kirchenbauten bekannte Dualismus zwischen Draussen und Drinnen, zwischen Profanem und Sakralem um die Polaritat von Altem und Neuem erweitert. Erst nachdem die von diesen Gegensatzen charakterisierten Aussen- und Eingangsbereiche der Kirchen durchschritten worden waren, gelangte man in einen in sich geschlossenen neuen sakralen Idealraum, in dem Kuppelarchitektur und Bildprogramm Spiegelbild einer himmlischen Hierarchie waren. Geschaffen war damit ein dem Alltag und der Zeitlichkeit entruckter, geradezu heterotopischer Ort. Die Koharenz von (Stadt)Landschaft und Kirche, deren Auflosungsprozess ihren Anfang schon in der Spatantike genommen hatte, wurde wahrend der Dunklen Jahrhunderte somit endgultig aufgebrochen.